Die neue Art der Prüfungsangst

Dies und das

Mittwoch Abend. Nach einstündiger Fahrt mit vier Öffis sitze ich bei der Chorprobe. Gerade als wir anfangen, spüre ich so ein ungutes Kratzen im Hals.
Früher hätte ich mir dabei nie etwas gedacht, da hätte dieses Gefühl wahrscheinlich nicht einmal mein aktives Bewusstsein erreicht. Aber jetzt…

Ohne mein Zutun wandern meine Gedanken zu dem Gurgeltest von heute morgen, dessen Ergebnis noch ausständig ist. Ich bin geimpft, ich müsste mich nicht testen lassen. Doch ich weiß, dass ich trotz Impfung ein Überträger sein könnte. Außerdem habe ich tatsächlich Freundinnen, die sich bereits zwei oder sogar dreimal angesteckt haben. Es kann also jeden treffen.

Und hat der Großvater nicht am Sonntag so verdächtig gehustet? Der ist auch geimpft, hat dafür aber erzählt, dass er sich seit Wochen nicht mehr hat testen lassen. Genauso wie der ganze Rest der Familie.

Unwillkürlich wandern meine Hände zu meinem Handy und ich öffne die Seite des Testzentrums. Das Testergebnis ist noch ausständig. Das ist keine Überraschung, denn sobald es ein Ergebnis gibt, bekommt man ja eine Email. Trotzdem klicke ich alle paar Sekunden auf „Aktualisieren“.

Gleichzeitig überlege ich, ob es nicht besser wäre, sicherheitshalber nach Hause zu fahren. Aber nur wegen ein bisschen Halskratzen? Nachdem ich so lange hierher gebraucht habe? Und wie schaut denn das aus, wenn ich nach zehn Minuten wieder aufstehe und gehe. Außerdem wird Test ja wohl sowieso negativ sein. Aber was, wenn nicht?

Während ich weiterhin die Seite im Zehn-Sekunden-Takt aktualisiere, male ich mir aus, was ich tun würde, wenn das Ergebnis positiv wäre. Aufstehen und die Hiobsbotschaft einfach in den Raum stellen? Sich diskret beim Chorleiter verabschieden und es ihn verkünden lassen, wenn ich weg bin? Und wie käme ich überhaupt nach Hause? Einfach mit der U-Bahn? Krankentransport rufen?

Sobald man sich irgendwo aus heiterem Himmel und ohne ersichtlichen Grund auf einmal eine Maske aufsetzt, weiß sowieso jeder Bescheid. Das hatte ich vor eineinhalb Jahren schon, als Unwissenheit und Vorsicht noch groß und das Chaos noch größer war und wir den ersten Verdachtsfall in der Schule hatten. Wir durften zwei Stunden lang niemandem etwas erzählen, aber wenn zwölf Lehrer von einem Moment auf den anderen plötzlich einen Mund-Nasen-Schutz tragen und ihren Platz nicht mehr verlassen, was soll man sich da denken? Das war übrigens auch der Tag meines ersten Corona-Tests.

Diesmal ist die Angst vor dem Ergebnis wesentlich weniger groß als damals. Aber weg ist sie nicht. Beim Proben von „Raging Fire“ singe ich volle Inbrunst „We will live until we die“, und wünsche mir, während meine Stimme den Noten im Refrain auch über die oberste Notenzeile hinaus folgt, meine Unbeschwertheit zurück.

20 Uhr 31. Beim letzten Mal habe ich das Ergebnis um 19:14 schon gehabt, finde ich heraus. Vielleicht wird das heute nichts mehr, schließlich habe ich den Test in der Früh nicht pünktlich vor neun, sondern zehn Minuten zu spät eingeworfen. Ich finde mich damit ab und aktualisiere nur noch alle paar Minuten.

Ich kenne ja aus meine Studienzeit noch diese Prüfungsangst, die bei mir glücklicherweise nie wirklich stark ausgeprägt war. Da war aber nach der Prüfung immerhin das schlimmste vorbei, das Warten aufs Ergebnis war zwar nervenaufreibend, aber da konnte eigentlich nichts mehr passieren.
Hier ist es anders. Da fängt das Bauchweh mit dem Test erst an. Das Herzklopfen wird immer schlimmer. Immer mehr Menschen fallen einem ein, mit denen man in den letzten Tagen Kontakt hatte – den man eigentlich auch hatte vermeiden können, wollte man wirklich auf Nummer sicher gehen. Und man will einfach auf keinen Fall Schuld sein, dass jand wegen der eigenen Fahrlässigkeit in Quarantäne muss – oder ins Krankenhaus.

Zwei Minuten vor Probenende kommt dann doch noch das ersehnte Ergebnis, mit Email und Allem. Das Herzklopfen ist kaum zum Aushalten. Soll ich den Befund jetzt überhaupt öffnen? Ist ja jetzt schließlich auch schon egal. Ich könnte alle in zehn Minuten, wenn ich schon draußen bin, per WhatsApp informieren. Aber ich halte diese Ungewissheit einfach nicht mehr länger aus. Ich klicke auf den Link, vergesse in der Panik beinahe mein Geburtsdatum. Negativ.

Den Stein, der mir vom Herzen fällt, kann man beinahe auf dem Boden aufschlagen hören. Die Anspannung ist plötzlich weg und ich fühle mich befreit. Und auf einmal überkommt mich die Lust auf ein kühles Bier.

Ob ich die Geschichte so erzählt hätte, wenn der Test anders ausgefallen wäre, weiß ich nicht. Aber sie hat mir gezeigt, wie sehr mich die letzten Monate geprägt haben, auch wenn ich nicht direkt betroffen war. Ich selbst kenne niemanden, der an Corona gestorben ist. Sehr wohl kenne ich aber Menschen, die Angehörige an die Krankheit verloren haben. Und ich möchte nicht dazu beitragen, dass das Virus sich weiter ausbreiten kann. Die Unbeschwertheit wird sich wieder einstellen. Aber nicht heute und nicht morgen.

Wiens ganz eigene Impflüge

Dies und das

Jasmin fährt im Sommer nach Thailand. Deshalb möchte sie sich rechtzeitig über die nötigen Impfungen informieren. Zu diesem Zweck wurde ihr das Impfservice der Stadt Wien empfohlen.

1. Versuch:
Jasmin schaut also auf die Homepage und sucht sich die Öffnungszeiten heraus. Da sie vormittags arbeiten muss, macht sie sich Donnerstag Nachmittag auf den Weg. 15.00 bis 18:00 ist geöffnet, um 15:30 ist sie dort.
Nach einer halben Stunde anstehen bekommt sie die Information, dass keine Patienten mehr aufgenommen werden, da die Höchstgrenze von 60 Beratungspatienten bereits erreicht ist. Man müsste schon um 15:00 da sein, damit man eine Chance hat. Termin kann man sich keinen geben lassen und telefonisch geht auch nichts.
Dumm gelaufen, denkt sich Jasmin und fährt den ganzen Weg wieder nach Hause.

2. Versuch:
In der nächsten Woche will Jasmin es klüger anstellen. Sie nimmt sich ab 14:00 frei und fährt sofort nach der Arbeit zum Impfservice, um 14:45 ist sie dort. Nach einer dreiviertel Stunde Anstehen ist sie endlich an der Reihe, doch als sie gerade den letzten Schritt zum Schalter hin macht, ertönt die Stimme der Anmeldedame: “Es werden keine Patienten mehr angenommen.” Heute werden nämlich nicht 60 Leute aufgenommen, sondern nur 20.
Jasmin ist ein wenig verärgert. Ob man das denn nicht wenigstens gleich zu Beginn hätte sagen können? Nein, das wäre zu viel verlangt. Oder zumindest irgendwann im Lauf dieser dreiviertel Stunde? Nein, wirklich nicht. Auf Jasmins Bemerkung hin, dass sie nun schon zum zweiten Mal da sei und extra frei genommen habe, wird ihr gar mit der Polizei gedroht. Verständnis oder gar Freundlichkeit sucht man im Gesicht der Anmeldedame vergeblich. Dafür wird sie offenbar nicht bezahlt.

Resümee:
Geimpft ist Jasmin nun noch immer nicht, dafür sehr frustriert. Hätte man ihr gesagt, dass man lieber schon um 14:00 da sein sollte, hätte sie das gemacht. Hätte man ihr gleich gesagt, dass an diesem Tag nur 20 Patienten aufgenommen werden und nicht 60, hätte sie das akzeptiert. Doch ihr wurde gesagt, 15:00, 60 Patienten. Dann hat man sie eine dreiviertel Stunde anstehen lassen, um ihr ins Gesicht zu sagen, dass man sie angelogen hat und sie doch zu ihrem Hausarzt gehen soll, wenn ihr was nicht passt.

Danke, Wien, dass mit meinen Steuergeldern folgendes finanziert wird: 
– eine Impfstelle, bei der man als berufstätiger Mensch keine Chance hat dranzukommen
– eine Anmeldedame, die einem mit der Polizei droht.
Danke!