Der unscheinbare Tod

Dies und das, Word in Progress

Was viele, die mich kennen, ahnen, aber die wenigsten wissen, ich habe einen leichten Hang zur Depression, wenn ich zu viel Zeit ohne äußerliche Routine verbringen muss.

Menschen, die mich im meine Sommerferien beneiden, kennen mich nicht. Zu sagen, neun Wochen Zwangsurlaub seien die Hölle, wäre übertrieben, aber genießen kann ich sie seit meiner Unizeit eigentlich kaum noch.

Warum das so ist, das Gefühl, jeden Tag aufs Neue nichts erreicht oder vorangebracht zu haben, ist jemandem, der es nie erlebt hat, schwer zu beschreiben. So absurd, wie es auf den ersten Blick klingen mag, ist es aber auch nicht.

Erst gestern las ich den Bericht eines Journalisten, der trotz negativem Coronatest zu zwei Wochen Quarantäne verdonnert wurde. Er beschreibt, und das schon nach wenigen Tagen, ähnliche Symptome wie ich sie in solchen Situationen bei mir selbst erlebe. Dass man in der Früh aufwacht und sich fragt, warum man sich überhaupt anziehen soll. Wenn einem bald sogar das Aufstehen sinnlos erscheint, weil man ja sowieso nichts zu tun hat.

Als ich heute bei unserer auf unbestimmte Zeit letzten Chorprobe saß, nur etwa ein Drittel von uns war anwesend die übrigen aus Vorsicht daheim geblieben, wurde mir schmerzlich bewusst, was das Virus tatsächlich für uns bedeutet. Und ich bekam die Angst, die ich davor vor dem Virus nicht gehabt hatte.

Es ist keine Angst vor Fiber, vor Husten oder überfüllten Spitalern, vor Lebensmittelknappheit oder Stromausfälle. Es ist eine Angst vor einem Sterben von Innen heraus.

Freiwillig oder nicht, befinden wir uns alle plötzlich in Quarantäne. Die Geschäfte schließen. Die Museen, Theater, Restaurants. Keine Chorprobe mehr, keine Tanzkurse, Musikstunden, kein netter Abend im Café.

Nicht nur ich habe mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass man verurteilt, teilweise beschimpft wird, wenn man noch auf die Straße geht. Wenn man seine Freunde, seine Familie trifft. Wir machen einander krank, weil wir gesund bleiben wollen.

Ich habe versucht, mit meinem Partner darüber zu sprechen. „Aber dafür geht es dir gesundheitlich gut“, hat er gesagt. Das sei viel wichtiger. Aber genau darauf wollte ich hinaus. Es geht mir nicht gut. Und nur, weil ich nicht huste, bin ich nicht gesund.

Heute habe ich gesungen, im Kreis von Freunden, habe Glück getankt, es hat gut getan. Ich habe gemerkt, dass ich genau das jetzt am meisten brauche. Aber es war das letzte Mal.

An alle, die heute zu Hause geblieben sind: anstatt Nudeln und Toilettenpapier zu bunkern, hättet ihr lieber in diese letzte Probe kommen sollen. Lebensmittel wird es auch nächste Woche noch zu kaufen geben. Es ist die Nahrung für die Seele, an der bald Knappheit herrschen wird.

Schon alles ein bisschen wie ausgestorben.

Dies und das

Am Weg zur vorerst letzten Chorprobe für unbestimmte Zeit, das Konzert Ende März wurde sowieso schon abgesagt.

So richtig will einem der Ernst der Lage irgendwie nicht bewusst werden, viel mehr kommt einem das ganze nach wie vor recht unwirklich vor. Um nicht zu sagen, von Stunde zu Stunde unwirklicher, wenn man zu eigentlich noch nicht ganz so später Stunde, aber doch schon bei anständiger Dunkelheit durch eine beinahe menschenleere Stadt fährt.

Scheinbar haben die Leute Angst. Ich selbst habe keine, finde das ganze bloß auf eine morbide Art aufregend, bin ich vielleicht nicht ganz normal oder ging es mir in meinem bisherigen Leben einfach zu gut, sodass mir die Gefahr einfach nicht ins Bewusstsein dringen will.

Vorsichtig bin ich ja schon, wasche mir die Hände öfter als sonst, vermeide Kontakt mit Haltegriffen und uneigenen Händen. Aber Angst habe ich eigentlich keine.

Die anderen scheinbar schon. Menschen, die nie auf die Idee gekommen wären, sich den problemlos verfügbaren Impfstoff gegen Influenza verabreichen zu lassen, Menschen, die ohne Bedenken rauchen wie ein inverser Schornstein, Menschen, deren wöchentlicher Fleischkonsum im Kilogramm höher ist, als ihre Dlüssigkeitsaufnahme in Litern, haben plötzlich Angst vor dem Coronavirus.

Warum? Ich bin nicht sicher. Auch wenn ich die Gefährlichkeit des Virus durchaus begreife, spreche ich den meisten dieser Menschen eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit zu, durch eine ganz andere, leicht abzuwenden Ursache zu sterben, als am Coronavirus. Aber ich schätze, akute Gefahren erscheinen einem immer größer. An Lungenkrebs stirbt man schließlich nicht von heute auf morgen.

Was ich nicht ganz verstehe, ist die Notwendigkeit, von der sxih scheinbar momentan die halbe Stadt ergriffen fühlt, Toilettenpapier zu horten. Wie mein Vater richtig sagt:

Die halbe Stadt wird sich bei den Hamsterkäufen im übergut besuchten Supermarkt mit dem Virus anstecken, die andere Hälfte wird am Klopapiermangel zu Grunde gehen.