Cover des Buchs "It's ok to be angry about capitalism" von Bernie Sanders

Warum verändert nicht endlich einmal jemand tatsächlich die Welt?

Dies und das

Ich lese gerade ein Buch des US-Politikers Bernie Sanders. Ich habe es schon vor einer ganzen Weile in der Buchhandlung entdeckt und mir gedacht: „Warum nicht, der Typ interessiert mich.“ Ich hatte den Präsidentschaftswahlkampf 2020 verfolgt, war enttäuscht vom Ergebnis und habe mich seitdem immer wieder gefragt, was passiert wäre, hätte Sanders seine Kandidatur nicht zurückgezogen.

Zunächst möchte ich anmerken, dass ich von dem Buch sehr lange sehr enttäuscht war. Das ganze erste Drittel hat eigentlich sehr wenig bis garnichts mit Kapitalismus zu tun, ist beinahe ausschließlich Selbstbeweihräucherung und eine übertrieben detaillierte Beschreibung des Wahlkampfes, abgesehen von einem kurzen Einwurf über das absurde System der Wahlkampffinanzierung in den USA.

Dabei wären wir aber schon bei einem der beiden großen Punkte, die ich aus diesem ersten Teil des Buches mitnehme (dem zweiten großen Punkt widme ich mich nächste Woche). Sanders bemängelt dieses System, in dem Milliardäre und große Konzerne beinahe im Alleingang Wahlkämpfe finanzieren und dafür zweifellos so einiges an Gegenleistungen bekommen. Er betont mehrfach, wie stolz er darauf ist, seinen eigenen Wahlkampf gänzlich ohne Großspenden geführt zu haben. Er habe damit gezeigt, dass es auch in den USA möglich ist, eine politische Bewegung groß zu machen ohne sich bereits während des Wahlkampfs an den Meistbietenden zu verkaufen. Es ist möglich, mit Idealismus allein Wahlkampf zu machen, auch ohne das Geld von Konzernen und Lobbies.

Warum, so frage ich mich, hat Bernie Sanders dieses, seinen eigenen Worten nach, enorme Momentum nicht genutzt, um eine eigene Partei zu gründen? Ein häufig genannter Grund, warum Parteien jenseits der Demokraten und Republikaner bei größeren Wahlen so gut wie keine Bedeutung haben, ist der, dass es ohne die entsprechende Finanzierung in den USA einfach nicht möglich ist, im Wahlkampf ausreichend präsent zu sein. Sanders hätte die Mittel gehabt, es zumindest zu versuchen.

Bernie Sanders war den Mächtigen in der Demokratischen Partei zu progressiv, das ist kein Geheimnis. Bereits während des Wahlkampfs 2020 war schnell klar, dass der Politiker von seiner eigenen Partei zu wenig Unterstützung erhalten würde, um erfolgreich zu sein. Aus Angst vor einem Wahlsieg Trumps zog er schließlich seine eigene Kandidatur zurück und unterstützte Biden, in der Hoffnung, die Stimmen der demokratischen Wähler so hinter einem Kandidaten zu einen. Ich bezweifle stark, dass das im Sinne seiner Unterstützer gewesen ist.

Sanders beschreibt in seinem Buch, dass er seinen Einfluss unter der Biden-Regierung nutzen konnte, um einige seiner Anliegen zumindest in abgeschwächter Form durchzusetzen. Viel öfter und ausführlicher beschreibt er allerdings, wie viel ihm verwehrt wurde, weil es in „seiner“ Partei viel zu wenige Menschen gab, die seine Ansätze und Ansichten teilen. Wie Abstimmungen außerdem im Senat trotz einer absoluten Mehrheit der Demokraten zu deren Ungunsten ausfielen, weil es innerhalb der Demokratischen Partei immer wieder einzelne Personen gab, die die von der eigenen Partei eingebrachten Vorschläge nicht mittragen wollten. Was hat man dann eigentlich davon, für die Demokraten im Senat zu sitzen? Hierzu ist anzumerken, dass Bernie Sanders tatsächlich offiziell als Unabängiger im Senat sitzt, sich allerdings der Fraktion der Demokraten (Democratic Caucus of the United States Senate) angeschlossen hat.

Und die große Frage, die sich mir nach alldem stellt: Warum sollte man als Nicht-Republikaner in den USA überhaupt noch zur Wahl gehen? Nehmen wir Donald Trump, der sich bereis in seinem Wahlkampf in seiner Radikalität durchaus von bisherigen republikanischen Kandidaten abhob, einmal aus der Rechnung vollständig heraus und reden nur über den Senat. Realistischerweise hat man die Wahl, für seinen Bundesstaat den republikanischen oder den demokratischen Kandidaten zu wählen. Andere Kandidaten stehen oft nicht zur Wahl (die Hürden für eine Kandidatur sind teilweise extrem hoch) oder gehen ohne das nötige Budget im Wahlkampf unter.

Nun angenommen, ich sei Demokrat. Dann könnte ich bei der Senatswahl die Republikaner wählen, die ganz sicher nicht in meinem Interesse abstimmen. Oder ich könnte die Demokraten wählen, die statistisch gesehen auch nicht in meinem Interesse abstimmen. Selbst bei einer absoluten Mehrheit der Demokraten im Senat findet sich für zahlreiche Anträge der Demokraten im Senat keine absolute Mehrheit. Während ich es prinzipiell positiv sehe, wenn Mandatare nicht verpflichtet sind, immer entsprechend ihrer Parteilinie abzustimmen, ist eine solche Situation für demokratische Wähler nachvollziehbarerweise frustrierend.

Noch schwieriger muss die Wahl für jemanden sein, der sich tatsächlich Veränderungen wünscht, vielleicht sogar ein besseres Gesundheits-, Bildungs- oder Sozialsystem. Für diese Menschen steht eigentlich niemand zur Wahl. Die einzige Person, die sich für diese Ziele eingesetzt hatte und, so schien es, damit Erfolg hätte haben können, hat sich schließlich einer der Parteien angeschlossen, die eigentlich alles möglichst im Status quo belassen wollen.

Ja, Bernie Sanders sitzt nach wie vor im Senat. Aber wo waren die Kandidaten einer potenziellen Bernier-Sanders-Partei in den anderen Bundesstaaten? Wenn die Unterstützung für seine Bewegung tatsächlich so groß war, wie Sanders in seinem Buch behauptet, vielleicht könnten im Senat jetzt statt einem sogar zehn Bernies sitzen, oder mehr. Vielleicht hätten Kandidaten dieser neu gegründeten Partei die teils absurden Hürden für eine Kandidatur überwinden, hätte der Wunsch nach Veränderung tatsächlich die Massen mobilisieren können.

Vielleicht auch nicht. Aber da war nun jemand, der vielleicht tatsächlich in einem starren System etwas hätte verändern, vielleicht tatsächlich die Welt hätte bewegen können. Und er hat nicht. Und immer wieder frage ich mich, was könnte jetzt alles anders sein?

Warum man Wahlprogramme manchmal doch vollständig lesen sollte

Dies und das

Bald ist ja Nationalratswahl. Zu den bekannteren und präsenteren Parteien hat man sich als halbwegs politisch interessierter Mensch bestimmt bereits ein Bild gemacht, das passiert ja für gewöhnlich (und idealerweise) nicht nur in den intensiven Wahlkampfwochen, sondern über Monate und Jahre hinweg, während man beispielsweise die Arbeit der Parteien im Parlament oder in diversen Landesregierungen mitverfolgt.

Um seine Wissenslücken zu schließen und sich einen Eindruck über die unterschiedlich innovativen Ideen für die Zukunft unseres Landes zu verschaffen, kann man sich, wenn man es genau wissen will, das jeweilige Wahlprogramm der Parteien in der engeren Auswahl zu Gemüte führen. Dieses kann heutzutage durchaus eine Seitenzahl im dreistelligen Bereich aufweisen. Ob dies dazu dient, den wirklich interessierten Wähler bis ins letzte Detail zu informieren, oder die Menschen davon abzuschrecken, das Programm überhaupt zu lesen, sei dahingestellt. So oder so wird man sich wohl, selbst wenn man sich zum Lesen entschieden hat, auf die für einen persönlich wichtigsten Themen beschränken.

Nun stolperte ich neulich, nicht beim Lesen des tatsächlichen Wahlprogramms, sondern dank eines Artikels im Standard, über eine meiner Meinung nach äußerst problematische Passage im Wahlprogramm der FPÖ. Da heißt es, man wolle eine „Meldestelle“ einrichten, bei der Lehrkräfte quasi angezeigt werden könnten, wenn sie in ihrem Unterricht „politisieren“. Was genau das heißen soll, bleibt im Artikel erst einmal der eigenen Phantasie überlassen. Von einer Partei kommend, die den menschengemachten Klimawandel und die medizinische Wirkung von Impfungen als (politische?) Meinung bezeichnet und sich hier oft neutralere Formulierungen wünscht, als wären beides nicht wissenschaftlich fundierte Tatsachen, wird der Phantasie allerdings nicht langweilig.

Was mich viel mehr schockiert hat als diese Forderung, waren die Reaktionen im Kommentarbereich. Nicht etwa die Alarmglocken schrillen hier, im Gegenteil, Wellen der Zustimmung schlagen einem entgegen. Ganz richtig sei das, meinen viele, Parteiwerbung habe im Unterricht nichts verloren. Ein Lehrer habe nicht Stimmung für oder gegen eine bestimmte Partei zu machen. Bin ich paranoid? Geht es wirklich nur darum?

Dass ich mich als Lehrer nicht wertend zu spezifische Parteien äußern darf, das ist mir natürlich bewusst, das finde ich so, wie offenbar auch der größte Teil der Standard-Community, auch ganz richtig. Nur ist das eben jetzt schon so. Auch gibt es durchaus Stellen, an die man sich mit einer Beschwerde wenden kann, wenn sich ein Lehrer an diese Regel nicht hält. Das wäre nämlich der jeweilige Direktor oder in höherer Instanz die verantwortliche Bildungsdirektion. Was also wäre die Aufgabe der eingangs erwähnten Meldestelle? Wem wäre sie unterstellt? Es bleiben viele Fragen offen, das leichte Unbehagen besteht nach wie vor.

Nun ist ja bekanntermaßen der Standard nicht die objektivste Tageszeitung der österreichischen Medienlandschaft. Um sich ein möglichst unvoreingenommenes Bild zu machen, komme ich um das tatsächliche Parteiprogramm also nicht herum. Denn ich möchte es genau wissen. Mit dem Stichwort „Meldestelle“ findet man schnell die gesuchte Passage. Hier heißt es, immer häufiger würden „Lehrer ihre Tätigkeit für die politische Beeinflussung, zumeist in Richtung des linken Mainstreams“ missbrauchen. Im nächsten Satz wird dann die besagte Meldestelle gefordert.

Mein Gefühl, dass es hier nicht darum geht, Parteireklame im Unterricht zu verhindern, hat sich also bestätigt. Worum es wirklich geht, kann man sich nach dem Studium der Absätze davor, in denen es ebenfalls um Schule geht, zusammenreimen. Hier ist die Rede davon, wie furchtbar es doch sei, mit Kindern über Geschlechteridentität zu sprechen, dass es Kinder verunsichere, zu erfahren, das Transsexualität existiert, dass quasi alles was „woke“ ist, aus der Schule verbannt gehöre. Darum geht es also.

Mir kommt das alles seltsam bekannt vor und ich werfe einen verstolenen Blick auf Ungarn. Dort gibt es bereits ein Gesetz, dass es verbietet, in Schulen über LGBT-Themen zu sprechen. Ebenfalls ist es verboten, Transsexuelle oder auch Homosexuelle als normale Menschen darzustellen. Wäre das bei uns unter einer FPÖ-Regierung dann noch erlaubt, oder könnte man mich, wenn ich beispielsweise von meinen Schülern Toleranz gegenüber ihren Mitschülern einfordere, ungeachtet deren sexueller Orientierung, bereits dafür bei der Meldestelle anzeigen?

Der Vergleich mit Ungarn ist kein Zufall, die Nähe der FPÖ zu Orbán kein Geheimnis. Dass der ungarische Staatschef für den selbsternannten Volkskanzler Kickl in vielerlei Hinsicht ein Vorbild ist, braucht man auch nicht zu erfinden, das hat dieser selbst bereits wiederholt kundgetan.

Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Das mulmige Gefühl begründet sich nicht länger auf einer vagen Ahnung, es entspringt keiner paranoiden Anwandlung, sondern fußt auf dem offiziellen Wahlprogramm der Partei, in Kombination mit von deren Mitgliedern öffentlich getätigten Aussagen.

Meine Gedanken wandern zurück zum Forum. Was mich nach wie vor erschüttert ist, wie viele Menschen sich all diese Gedanken nicht nur nicht machen, sondern nicht einmal auf die Idee kommen, dass man sich hier Gedanken machen könnte. Dass es Menschen gibt, die eine derartige Forderung sehr wohl in dem Wissen unterschreiben würden, was sie beinhaltet, das ist mir bewusst. Aber wie viele Menschen hier blind zustimmen in dem naiven Glauben, etwas völlig anderes sei gemeint, einem Panikmache unterstellen wenn man etwas suggeriert, dessen Wahrheitsgehalt sich ganz einfach überprüfen lässt, das lässt mich doch einigermaßen sprachlos zurück.

In diesem Sinne sage ich auch garnicht mehr und lasse meine Gedanken so im Raum stehen. Nur eines noch, politisierend hin oder her, in meinem Unterricht wird Toleranz und Respekt propagiert, dazu stehe ich, das ist gemäß Lehrplan sogar Teil meines gesetzlichen Bildungsauftrags. Und ich hoffe, dass das auch weiterhin so bleibt.

Wahl die Dritte (oder so)

Dies und das

Nun ist die Wahl also vorbei. Diesmal wirklich. Zumindest laut H.C. Strache ist eine erneute Anfechtung “kein Thema” (http://orf.at/stories/2369563/2369638/). Na schön, hätten wir das also auch geschafft.
Interessanter sind die Reaktionen auf das Ergebnis. Auch mich hat es (allerdings bereits beim ersten Versuch) zunächst überrascht, dass es so viele Leute gibt, die nicht denselben Kandidaten gewählt haben wie ich. Wo kommt das denn auf einmal her, dachte ich, fasst alle, die ich kenne, wählen doch den… naja.
Aber bald ging mir auf – ist doch klar. Natürlich bin ich vorrangig mit Leuten befreundet, die sich in einem ähnlichen Umfeld bewegen, ähnliche Meinungen haben. Da ist es ja auch kein Wunder, dass die Mehrheit meiner Freunde den Herrn Soundso wählt. Mein Freundeskreis ist aber nicht repräsentativ für die gesamte österreichische Bevölkerung.
Dass Van der Bellen die Stichwahlwiederholung gewonnen hat, hat also nichts mit Wahlbetrug zu tun, auch wenn man selbst vielleicht nur Hoferwähler kennt. Genauso verhält es sich übrigens mit dem Stimmensieg Hofers in der ersten Wahlrunde.
Und dass im Internet mittlerweile nur noch jeder den anderen beschimpft, nur weil der vielleicht doch den anderen gewählt hat, wird wohl nicht dazu beitragen, dass unser Freundeskreis bis zur nächsten Wahl repräsentativer wird.