Warum eine hohe Erfolgsquote nicht zwingend ein Erfolg ist

Dies und das

Die aktuelle Corona-Situation stellt für viele Bevölkerungsgruppen eine besonders große Belastung dar. Darunter fallen zweifelsohne die Schüler, die von heute auf morgen plötzlich ins Distance Learning katapultiert wurden und das gleich für mehrere Monate – im Schuljahr 2019/20.
Wir schreiben das Schuljahr 2020/21 und in diesem war die Situation schon wesentlich besser einschätzbar, dass es wieder kürzere oder längere Phasen des sogenannten „ortsungebundenen Unterrichts“ geben würde, darauf hätte man sich mental bereits im Sommer einstellen können, spätestens jedoch im Herbst, als die Infektionszahlen in bis dahin nicht dagewesene Höhen schnellten.

Dennoch ist es nicht von vornherein falsch, den Jugendlichen in einer solchen Situation bis zu einem gewissen Grad entgegenzukommen, vielleicht sogar mehr durchgehen zu lassen als gewöhnlich. Aber alles hat seine Grenzen.

Gerade während ich diese Zeilen schreibe, sitzen unsere Maturanten zwei Stockwerke höher und schreiben ihre Mathematik-Klausur. Ich habe die Angaben schon gesehen. Einzelne Aufgaben sind vordernd, großteils lässt sich die Matura aber mit ein wenig Grundwissen und einfachen Überlegungen schaffen. Bei einer Aufgabe geht es etwa darum, um wieviel Euro ein bestimmtes Produkt verbilligt ist, wenn der Prozentsatz bekannt ist. Bei einem anderen Beispiel muss man die Wahrscheinlichkeit berechnen, bei mehreren Münzwürfen öfter Kopf als Zahl zu werfen. Alles klassische Aufgaben, wie auch ich sie schon in meiner Schulzeit lösen musste. Der große Unterschied ist, dass auch die Lehrer vorher nicht wussten, welche Fragen heute gestellt werden.

Die Zentralmatura, vor Allem in Mathematik entwickelt sich seit ihrer Einführung vor einigen Jahren ständig weiter – aber was genau wird eigentlich evaluiert, wie wird bewertet und was ändert sich?

Zunächst einmal sollte man sich fragen, worauf der leichte Rückgang des Anteils an erfolgreich absolvierten Prüfungen nach Einführung der Zentralmatura überhaupt zurückzuführen ist. Eine der Grundideen der Zentralmatura ist es immerhin, ein einheitliches Grundniveau jener zu garantieren, die ein positives Maturazeugnis vorweisen können. Unis und Arbeitgeber sollen sich darauf verlassen können, dass zentral festgelegte Grundlagen von jedem Maturanten beherrscht werden. Lehrer sollen nicht mehr mit „freundlichen“ Angaben ganze Klassen „durchwinken“ können.

Würde man nun erwarten, dass sich durch diesen neuen Anspruch das Ergebnis nicht ändert, müsste man ihn von vornherein nicht stellen. Ein Gleichbleiben der Erfolgsquote hätte nur gezeigt, dass die gesetzte Maßnahme nicht nötig gewesen wäre. Dass besagte Quote tatsächlich um einige Prozentpunkte gesunken ist, hätte also eigentlich als Erfolg verbucht und auch so präsentiert werden können. Leider wurde das durch die Medien verhindert, die lautstark verkündeten, dass die Zentralmatura „zu schwer“ sei. Hier tut sich natürlich da Frage auf, was es genau bedeutet, wenn eine Matura „zu schwer“ ist, wer das entscheidet und welche Ansprüche man an eine Matura stellt.

Und hier genau liegt der Hund begraben. Denn scheinbar ist das Zeil einer Matura in Österreich nicht, sich auf einige Grundkompetenzen zu einigen, die jeder Maturant beherrschen sollte, und dann diejenigen mit einem positiven Abschluss zu belohnen, die sich diese Kompetenzen erfolgreich angeeignet haben.
Scheinbar ist das Ziel einer Matura in Österreich, eine Abschlussprüfung zu designen, die von möglichst vielen Jugendlichen bestanden werden kann.

Deshalb wurde auch als Reaktion auf die ersten Ergebnisse im Schuljahr 2014/15 nicht etwa nach Wegen gesucht, den Schülern diese Grundkompetenzen erfolgreicher zu vermitteln, bei denen es ja nicht, wie böse Zungen oft behaupten, um bloßes Auswendiglernen, also „learning to the test“ geht, sondern eben darum, abschätzen zu können, wie viel Euro man sich tatsächlich spart, wenn etwas 20% verbilligt ist, oder zu verstehen, warum man bei einem Besuch im Casino nicht erwarten sollte, mit mehr Geld hinauszukommen, als man mitgebracht hat.

Auch gab es kaum Versuche, herauszufinden, wo die Schwierigkeiten sowohl bei der Vermittlung der Kompetenzen auf Lehrerseite, als auch beim Erwerb auf Schülerseite liegen.

Stattdessen wurde in den letzten Jahren mehrmals der Punkteschlüssel geändert. Es gibt immer mehr Möglichkeiten, doch noch „positiv“ zu sein, als „zu schwierige“ empfunden Aufgabenformate wurden abgeschafft und mittlerweile gibt es auch schon „Streichbeispiele“, von den drei Anwendungsaufgaben zählen nur die beiden besseren.

Als Tüpfelchen auf dem I wird nun auch die Note der achten Klasse in die Maturanote einbezogen, womit es nun endlich wieder jedem Lehrer möglich wird, die Schüler, die er besonders gern hat, mit einem fast sicheren Maturaerfolg zu beglücken. Ich will da nicht verallgemeinern, natürlich gibt es als Ausgleich dafür auch die Lehrer, die wollen, dass die Schüler gefälligst für die Matura lernen und ihnen deshalb im Zweifelsfall aus Prinzip einen Vierer ins Zeugnis schreiben.

Und siehe da – wir haben es endlich geschafft! Mit all diesen Anpassungen ist die Erfolgsquote endlich wieder da, wo wir sie scheinbar haben wollten, nämlich auf dem Stand von vor zehn Jahren. Und das ganz ohne eine Reform des Schulsystems! Das bestätigt uns diese tolle Grafik auf orf.at:

Wenn es um die Entwicklung der Matura geht, ist offensichtlich der Weg das Ziel. Sonst müsste man ja fast meinen, wir hätten im letzten Jahrzehnt in dieser Hinsicht nichts erreicht.